Der Lizenzwechsel bei OpenStreetMap

Seit einigen Tagen werden alle Mapper beim Versuch, Daten hochzuladen, zu einer Entscheidung über den Lizenzwechsel aufgefordert. Dabei handelt es sich um „Phase 3“ des Lizenzwechsels von OpenStreetMap, der seit 2007 geplant wird.

Im Moment wurden noch nicht alle Mapper über den Lizenzwechsel informiert. Wir versuchen in diesem Artikel, das Wesentliche zusammenzufassen. Einen Überblick kann man sich auch im Wiki verschaffen.

Zu dem Thema gibt es einen umfangreichen Vortrag von Frederik Ramm (Video), der auf der FOSSGIS 2011 gehalten wurde. Dieser Artikel basiert auf diesem Vortrag und dem Text auf openstreetmap.de.

Handlungsbedarf

Folgende Probleme (in Kurzform) bestehen mit der aktuellen Lizenz (CC-BY-SA) und sind die Motivation für einen Lizenzwechsel:
Das Urheberrecht gilt in manchen Ländern nicht für Fakten, zum Beispiel in den USA. Die Creative Commons-Lizenzen basieren auf dem Urheberrecht. Sie sind für kreative Werke gedacht, nicht für die Sammlung von Fakten.

Die von der Lizenz geforderte Namensnennung aller Autoren ist nicht praktikabel. Eigentlich verstößt jeder Nutzer der Daten gegen die CC-BY-SA-Lizenz, weil er nicht alle Namen auflistet. Die Namen aller jemals beteiligten Urheber eines Ausschnitts herauszufinden ist bereits eine schwierige Aufgabe und erfordert, die gesamte History zu betrachten.

Share-Alike in der aktuellen Form greift manchmal zu weit: das Ziel war, die Daten zu schützen. Share-Alike greift allerdings auch auf abgeleitete Werke wie Kunstwerke oder Ähnliches. Es ist auch nicht klar, wann eine Karte ein abgeleitetes Werk darstellt und wann sie nur ein Sammelwerk aus mehreren Quellen ist, bei der nur ein Overlay von der Lizenz betroffen ist.

Die drei genannten Punkte führen zu einer Rechtsunsicherheit, die potentielle Nutzer abschreckt. Eine verbindliche rechtliche Auskunft ist nicht möglich, weil jeder einzelne Mapper nach seiner Interpretation gefragt werden müsste.

Die Entscheidung, die CC-BY-SA als Lizenz zu wählen, war also eine Fehlentscheidung. Es besteht ein Handlungsbedarf, eine für die Anforderungen der Mapper geeignete Lizenz zu finden und auf diese Lizenz umzustellen. Zusätzlich soll es einfacher werden, Korrekturen an der Lizenz vorzunehmen, unter der Vorraussetzung, dass die Mehrheit aller aktiven Mapper die Korrekturen befürwortet.

Vorgeschichte und beteiligte Personen

Bei einer Panel-Diskussion zum Thema Lizenz auf der ersten State of the Map (SOTM 2007) wurde die Notwendigkeit eines Lizenzwechsels deutlich. Mögliche Alternativen neben Public Domain waren noch nicht bekannt, Public Domain war unter den Anwesenden umstritten. Die OSMF wurde gebeten, sich um das Problem zu kümmern.

Eine Untergruppe der Creative Commons, die Science Commons (mit Schwerpunkt Lizensierung in den Wissenschaften), empfahl damals als Lizenz CC0 (vergleichbar mit Public Domain) mit einer “moralischen Aufforderung” zur Quellenangabe. Creative Commons sah zu dieser Zeit keinen Bedarf an einer Lizenz für Datenbanken neben CC0. Zwei Beteiligte gründeten daraufhin die Open Data Commons und veröffentlichten einen Entwurf der “Open Data Commons Database License”, dem Vorläufer der heutigen ODbL.

Da in OSM eine Lizenz ohne Share-Alike nicht durchsetzbar schien, begann eine Zusammenarbeit der OSMF mit Open Data Commons.
Die License Working Group wurde im Dezember 2008 gegründet. Es gibt seitdem eine wöchentliche Telefonkonferenz und unregelmäßig eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Eine Beteiligung in der LWG ist auch heute noch möglich. Die Freiwilligen der LWG kümmerten sich um viele Details und beteiligten sich an der ODbL im Sinne der Interessen von OpenStreetMap als Projekt. Im Juni 2009 wurde die ODbL 1.0 veröffentlicht. Danach wurden die Contributor Terms (CT) erarbeitet.

ODbL

Die Open Database License ist eine Share-Alike-Lizenz für Datenbanken. Sie basiert auf Urheber-, Datenbank-, und Vertragsrecht und schützt damit auch Daten, die nicht unter das Urheberrecht fallen.

Es gibt zwei neue Konzepte: nichtsubstantielle Extrakte und „Produced Works“ (Endprodukte). Erläuterungen zu den Konzepten finden sich im Vortragsvideo von der FOSSGIS 2011. Abgeleitete Datenbanken müssen unter der gleichen Lizenz freigegeben werden.

Im bisherigen rechtlichen Konstrukt erteilt der individuelle Mapper eine Lizenz (CC-BY-SA) an den Nutzer der Daten, die OSMF stellt lediglich die Infrastruktur zur Verteilung zur Verfügung.

bisherige CC-BY-SA Lizenz

Die Daten eines individuellen Mappers haben gewöhnlich nur einen geringen Umfang und stellen noch keine Datenbank dar, deshalb greift das Datenbankrecht hier nicht. Der einzelne Mapper liefert einen Beitrag an die gemeinsame OSM-Datenbank. Die ODbL greift deshalb nur zwischen der Gesamtdatenbank und dem Nutzer der Daten. Zwischen dem Mapper und der OSMF, die die Datenbank betreibt, wird deshalb ein Vertrag abgeschlossen (Contributor Terms).

neue ODbL

Darin erlaubt der Mapper der OSMF, die Daten zu verteilen, und er versichert, dass die Daten kompatibel mit der ODbL sind. Die OSMF verspricht dem Mapper eine Namensnennung. Ausserdem enthält der Vertrag einen gegenseitigen Haftungsausschluss. Die Urheberrechte verbleiben beim Mapper; die OSMF erhält die Erlaubnis, die Daten zu verteilen und rechtlich gegen Missbrauch der Daten vorzugehen.

In den CT ist keine Lizenz enthalten, sie erlauben stattdessen die Weiterverteilung unter CC-BY-SA, ODbL, oder einer anderen freien und offenen Lizenz, wenn zwei Drittel aller aktiven Mapper dieser Lizenz zustimmen. Dadurch ist in Zukunft der Wechsel auf eine besser geeignete, aber weiterhin freie und offene Lizenz möglich (falls eine solche entsteht und von 2/3 angenommen wird).

Fahrplan

Es gibt im OSM-Wiki einen Zeitplan für den Lizenzwechsel. Die dort genannten Termine haben sich meistens stark verzögert, viele Details dauerten länger als erwartet.

Phase 1: Seit dem 12.05.2010 stimmen neu registrierte Benutzer automatisch der neuen Lizenz zu.
Phase 2: Seit dem 10.08.2010 können existierende Benutzer freiwillig zustimmen.
Phase 3: Seit dem 17.04.2011 müssen existierende Benutzer entweder ablehnen oder zustimmen, um weiter editieren zu können.
Eine Ablehnung ist widerruflich, man kann also später noch der neuen Lizenz zustimmen. Die Liste aller zustimmenden und ablehnenden Mapper ist öffentlich einsehbar.

Wenn Phase 4 beginnt (evtl. im Juli), dürfen nur noch Benutzer, die zugestimmt haben, weiter editieren. Alle Mapper, die bis zu dem Zeitpunkt noch gar keine Entscheidung getroffen haben, werden per E-Mail informiert. Verfeinerte Tools zur Analyse der problematischen Daten werden entwickelt. Vermutlich werden zu diesem Zeitpunkt Daten, die nicht übernommen werden dürfen, von anderen Mappern neu erfasst.

In Phase 5 (vermutlich 2012) wird die Datenbank auf die ODbL umgestellt. Bei der Entscheidung, welche Daten weiterhin dabei bleiben können, müssen alle Versionen aller Objekte berücksichtigt werden, ausserdem Aufsplittung von Ways, etc. Vermutlich werden eindeutige Fälle automatisiert abgehandelt und unklare Fälle von der Community manuell entschieden. Nicht kompatible Daten werden aus der Datenbank gelöscht. Eine Kopie der Datenbank (Planetfile mit voller Historie) zum Zeitpunkt der Umstellung (Phase 5) wird archiviert und steht langfristig unter CC-BY-SA zur Verfügung.

Kritik

Viele Mapper befürchten einen Datenverlust. Das Ausmaß kann man noch nicht einschätzen, bis alle Mapper informiert wurden und die meisten eine Entscheidung getroffen haben. Im Idealfall stimmen fast alle Mapper zu, die verbleibenden Lücken könnten dann leicht gefüllt werden. Bis jetzt wurde noch keine Höchstgrenze an verlorenen Daten festgelegt, auch das ist ein Kritikpunkt.

Es gibt den Vorschlag, vorhandene Daten einfach zu übernehmen, ohne zu fragen, da die CC-BY-SA gar nicht greift. Das widerspricht allerdings dem Gedanken von OSM und wird von der OSMF abgelehnt.

Ein Problem in Australien ist, dass dort viel von Luftbildern abgezeichnet wurde, die nur unter CC-BY-SA freigegeben wurden. Hier ist noch eine Nachverhandlung mit den Luftbildspendern erforderlich.

Manche Mapper vertreten auch den Standpunkt, dass die bisherige Lizenz in der Praxis gut funktioniert und kein Handlungsbedarf besteht. Bis jetzt ist alles gut gegangen, allerdings sind die oben genannten Probleme spätestens seit 2007 bekannt und die OSMF wurde aufgefordert, eine Lösung zu finden.
Ein Teil dieser Mapper hat unter fosm.org einen CC-BY-SA Fork gegründet. Wie lange dieser mit den verfügbaren Ressourcen bestehen bleiben wird und wie man parallel in beiden Datenbanken editieren kann, ist noch unklar.

Manche Share-Alike-Verfechter sehen eine Public-Domain-Gefahr, weil zwei Drittel der aktiven Mapper für einen Wechsel zu PD stimmen könnten. Sie fordern, Share-Alike in den Contributor Terms aufzunehmen. Das Problem dabei ist die genaue Definition von Share-Alike, die so umfangreich wie eine Lizenz an sich werden würde. Ausserdem könnten veränderte Rahmenbedingungen – zum Beispiel die völlige Freigabe amtlicher Daten – tatsächlich in Zukunft einen Wechsel zu PD sinnvoll oder gar notwendig erscheinen lassen.

Anderen Mappern geht die ODbL nicht weit genug, sie hätten lieber gleich jetzt einen Wechsel zu Public Domain. (Immerhin bedeutet das Konzept „Produced Works“ in der ODbL die Möglichkeit, ein aus OSM hergestelltes Produkt, das nicht eine Datenbank ist, auch ohne share-alike zu lizensieren.)

Häufig wird auch kritisiert, dass es nie eine Umfrage unter allen Mappern gab. Bisher gab es nur eine Umfrage für Mitglieder der OSM Foundation. Kurz darauf gab es eine inoffizielle Umfrage auf Doodle, die für alle zugänglich war.

Es wurde auch kritisiert, dass die Mapper zu wenig beteiligt wurden. Eine Beteiligung in der LWG oder auf legal-talk ist weiterhin möglich, dort arbeiten auch nur Freiwillige. Aus den Working Group Minutes lässt sich herauslesen, wie die Details bearbeitet wurden.

Einige Mapper kritisieren die fehlende offizielle Übersetzung von Lizenz und Contributor Terms. Es gibt von beidem nur eine inoffizielle deutsche Übersetzung. Offizielle Übersetzungen wurden nur für Länder angefertigt, deren Gesetze dies erfordern. Offizielle Übersetzungen in allen Sprachen wären unter anderem sehr kostspielig.

Manche Mapper misstrauen der OSMF als junge Organisation, die nicht so etabliert ist wie zum Beispiel die Free Software Foundation.

Ein relativ neuer Vorschlag ist, auf die neu angekündigte Creative Commons-Lizenz CC4 zu warten. Diese soll auch Datenbanken schützen. Der Prozess hat allerdings gerade erst begonnen und dauert noch mindestens 2 Jahre, eher länger. Vorläufig plant Creative Commons aber, nur auf in den einzelnen Ländern vorhandenes Urheber- und Datenbankrecht aufzubauen. Dadurch böte CC4 voraussichtlich weniger Schutz für Faktensammlungen, möglicherweise auch weiterhin keinen Schutz in den USA.

Status

Es gibt eine ODbL-Statistik für einzelne Länder, sowie eine ODbL-Karte mit farblichen Abstufungen.
Diese Tools betrachten allerdings nicht unbedingt die komplette Historie der Objekte. Dinge wie aufgeteilte Wege werden nicht berücksichtigt. Präzisere Tools müssen erst noch entwickelt werden.

Wie viele Mapper schon zugestimmt oder abgelehnt haben, kann man in dieser Statistik oder dieser Statistik betrachten.

Ausblick

Es gab in der Vergangenheit viele Missverständnisse, aber auch berechtigte Kritik.
Der momentane Status mit CC-BY-SA ist mit Blick auf die Kritikpunkte nicht besser, bei gleich strenger Betrachtung gibt es sogar mehr Mängel als bei der neuen Lizenz.

Wir bitten euch, andere Mapper freundlich über das Vorhaben zu informieren und dabei deren Entscheidung zu respektieren.

Wer unter den neuen Bedingungen nicht weitermachen will, den bitten wir um eine Überlegung: vielleicht möchte er/sie dem gemeinsamen Projekt zumindest die bisher mühevoll gesammelten Daten überlassen, bevor er/sie endgültig aufhört. Wer dazu nicht bereit ist, der möge das frühzeitig deutlich sagen, damit die absehbar verloren gehenden Daten rechtzeitig neu erfasst werden können.

Kann man den Wechsel noch stoppen? Das ist eher unwahrscheinlich. Stattdessen empfehlen wir, lieber den Wechsel konstruktiv mitzugestalten (in der LWG, oder in der OSMF: im September gibt es auch wieder Neuwahlen für den OSMF-Vorstand).

Und am Schluss lässt sich noch sagen: Eigentlich gibt es bei OSM wichtigere Probleme. Der Wechsel nimmt auch so schon viel Zeit in Anspruch und wird einige Aktive kurzfristig weiter stark beschäftigen. Wir sind froh, wenn der Lizenzwechsel vorbei ist und wir wieder alle zusammen für OSM arbeiten können ! Hoffentlich hat dieser Artikel einige offene Fragen beantworten und Unklarheiten ausräumen können.

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Kategorie: OSMBlog | Tags: