Dieser Beitrag enthält die persönliche Meinung von Michael Reichert. Weder wird inhaltliche Neutralität angestrebt noch gibt dieser Beitrag die Meinung der Redaktion wieder. Bitte lest selber die Wahlprogramme und die Antworten der Kandidaten auf den Fragenkatalog durch, um euch eine eigene Meinung zu bilden.
Woran kann man sich bei der Auswahl der Kandidaten orientieren?
Viele haben ihre eigenen, persönlichen Entscheidungskriterien. Um das Verständnis dieses Beitrags zu erleichtern, lege ich zuerst einmal dar, was mir wichtig ist.
Freiheit der Mitwirkenden
Bislang folgt das Handeln der OSMF dem Grundsatz „support, not control“ (unterstützen, nicht kontrollieren) und ist daher das eines Fördervereins. Die OSMF hält die Rechte an den Daten und betreibt die zentralen Dienste, schreibt aber nicht viel vor und überlässt es in großen Teilen der Community, Regeln festzulegen. Es gibt jedoch Kandidaten, die das ändern möchten. Sie streben an, dass die OSMF eine führende bzw. herrschende Position im OpenStreetMap-Projekt einnimmt. Regionale Communitys sollten „Leader“ (Führer) haben. Das mag zwar eine Wunschvorstellung sein, denn in den Industrieländern ist OSM eben keine hierarchische Organisation, sondern eine Graswurzelbewegung mit vielen selber denkenden Individuen.
Wenn OSM jedoch hierarchischer wird, verliert es seinen Kern – die Unabhängigkeit. OSM gehört niemandem. Keine Firma, keine kapitalistischen Interessen entscheiden, wo die Reise hingeht.
Die OSMF als Organisation ehrenamtlicher Kräfte
Die OSMF wird derzeit von Freiwilligen getragen. Nur die Buchhaltung und etwas administrative Assistenz geschieht durch bezahlte Kräfte. Ein Teil der Kandidaten ist dafür, mehr Tätigkeiten durch bezahlte Kräfte durchzuführen. Hierbei muss unterschieden werden, um welche Tätigkeiten es geht. Geht es um einfache Verwaltungsarbeiten wie etwa die Mitgliederverwaltung? Handelt es sich um Software-Entwickler, die Features für die OpenStreetMap-Website programmieren? Will man Projektmanager anstellen oder gar Leute, die wie ein Geschäftsführer aktiv Entscheidungen treffen und die Richtung vorgeben?
Mehr bezahlte Kräfte machen zwar eine Organisation schlagkräftiger, bergen aber auch Risiken. Bezahlte Kräfte kosten Geld, das von Geldgebern eingeworben werden muss und zu Abhängigkeiten führt. Die Freiwilligen in der OSMF sind selbst denkende Individuen, kein Arbeitervolk. Dieses Selberdenken sollte man wertschätzen und nicht als Hindernis betrachten. Wenn eine Tätigkeit gemeinsam durch bezahlte und ehrenamtliche Kräfte durchgeführt wird, kann wird das die Motivation der Freiwilligen senken. Gerade dann, wenn die bezahlten Kräfte nicht den Freiwilligen untergeordnet sind oder bestimmte bisherige Communitymitglieder plötzlich bezahlt werden.
Das geplante Förderprogramm hat einen Umfang, der entweder eines verstärkten Engagements Freiwilliger oder einer bezahlten Arbeitskraft bedarf. Kandidaten, die deutlich für mehr Förderung sind, bringen über die Hintertür einen Mitarbeiterstab mit.
Ist ein Mitarbeiterstab einmal vorhanden, wird dieser alles daran setzen, seine Position zu verteidigen und seine Posten zu sichern (ist ja schließlich deren Einkommen). Daher sollten bezahlte Tätigkeiten gering gehalten werden, da sie ein Suchtpotential bieten. Eine vertretbare und dennoch nützliche Möglichkeit wäre die projektbasierte Beschäftigung, z.B. für die Umsetzung konkreter Features für die OSM-Website oder andere Kern-Software, für die sich Firmen nicht interessieren.
Selbst wenn Vorstände nicht aktiv neue bezahlte Stellen zur Diskussion stellen, gibt es Möglichkeiten die OSMF langsam umzubauen. Wenn Vorstände über die Arbeitsgruppen hinweg Entscheidungen treffen und diese vor vollendete Tatsachen setzen, demotiviert das Freiwillige. Die fehlende Motivation führt zu weniger Engagement. Dieses kann später als Argument für die Anstellung einer bezahlten Kraft dienen.
Code of Conduct
Aus den USA schwappt in den letzten Jahren der Code-of-Conduct-Trend über die Open-Source-Szene. Ziel der Befürworter von solchen Verhaltenskodexen ist es, die Communitys für Außenstehende „freundlicher“ zu machen und eine Willkommenskultur zu etablieren. Damit solle nicht nur der Anteil von Frauen, sondern auch anderen Minderheiten (homo-/bisexuell, transgender/-sexuell, Hautfarbe, …) erhöht werden. Ein Verhaltenskodex ist an sich nicht schlecht. Manche Communitys und manche Leute sind für Außenstehende nicht gerade einladend. Das Problem daran ist jedoch, dass einigen prominenten Code-of-Conduct-Befürwortern in der OSM-Community der Ruf anhaftet, Verhaltenskodexe zum Ausschluss kritischer Stimmen zu nutzen. Außerhalb von OSM scheinen Code of Conducts eine Waffe zum Aufbrechen alter Machtstrukturen zu sein (das kann gut und schlecht sein). Aus HOT US Inc. gibt es Berichte, von Verfahren gegen Leute, die ihre Meinung zu deutlich ausgesprochen haben.
War da eine kulturelle Kompenente im Spiel? HOT ist von US-Amerikanern dominiert, deren Diskussionskultur eine andere ist. Wenn jemand, der nicht englischer Muttersprachler ist, seine Meinung auf seine Art ausdrückt, kann es leicht passieren, dass das von Amerikanern als Verstoß gegen die Konventionen wahrgenommen wird.
Ist jedoch ein Code of Conduct, den eine Gruppe von oben herab durchdrückt, für OpenStreetMap überhaupt geeignet? Anders als in vielen Open-Source-Software-Projekten sind bei OSM die nationalen und regionalen Communitys, die nicht auf englisch kommunizieren, groß. Jede Sprache hat ihre eigene Kommunikationskultur. Daher sollte die Festlegung von Regeln wie sonst in OSM auch üblich von unten herauf geschehen.
Umgang mit Firmen und Interessenskonflikten
Im Vorfeld dieser Wahl sind einige Dinge teils deutlich, teils weniger deutlich zu Tage getreten, die man zum Anlass nehmen sollte, über den Umgang mit Firmen und deren Interessen in der OSMF nachzudenken.
Am 1. November 2018 hat Frederik Ramm auf der Mailingliste OSMF-Talk berichtet, dass Mitarbeiter zweier Firmen ihn darüber informiert hätten, dass ihnen vom Arbeitgeber der OSMF-Mitgliedsbeitrag erstattet und Wahlempfehlungen erteilt werden. Im Lauf der späteren Diskussion hat sich herausgestellt, dass es kulturelle Unterschiede zu geben scheint und das Erstatten von Beiträgen zu Berufsverbänden durch den Arbeitgeber in den USA üblich ist. Dies erklärt es, warum der Anteil an US-Amerikanern unter den OSMF-Mitglieder höher ist, als er aufgrund der Anzahl der dort aktiven Mapper sein sollte.
In der Diskussion im Vorstand rund um die Organised Editing Guideline, die das Geschäft einiger Firmen und Nichtregierungsorganisationen betrifft, haben zwei Vertreter dieser Gruppe zwar erklärt, dass sie einen Interessenskonflikt haben und nicht abstimmen werden. (Das wäre auch schwer zu leugnen gewesen). Einer der beiden hat jedoch hinter den Kulissen intensiv versucht, auf den Leitfaden Einfluss zu nehmen. Es soll sogar einen Gegenentwurf von einem befangenen Vorstand gegeben haben. Trotz der Bitte aus der Community ist dieser bislang noch nicht herausgegeben worden. Angesichts des finanziellen Werts von OSM und des Einfluss auf die Geschäftsinteressen von Firmen zeigt das folgende Probleme auf:
- Der Umgang mit Interessenskonflikten im Vorstand ist von Dilettantismus und fehlender Strenge geprägt. Bislang fällt nur Paul Norman regelmäßig positiv damit auf, den korrekten Umgang mit Interessenskonflikten zu fordern.
- Es existieren keine präzisen Regeln dafür. Wer befangen ist, hat sich gefälligst nicht nur der Abstimmung fernzuhalten, sondern auch aus der gesamten Entscheidungsfindung im Vorfeld herauszuhalten! Wenn die Meinung eines Befangenen von Bedeutung ist, kann man ihn in der Art und Weise anhören, wie es bei Anhörung der Community oder Dritter bislang geschieht. Sich dann noch einzumischen ist unanständig.
- Wer im Vorstand ist, keinen Anstand kennt und nur seine eigenen Interessen oder die seines Arbeitgebers durchsetzen möchte, wird auf Teufel komm raus versuchen, seine Interessen durchzuboxen. Dagegen helfen nur Transparenz, Kontrolle, engagierte andere Vorstände und Regeln, die nicht davon ausgehen, dass sich sowieso alle daran halten und man daher das „Offensichtliche“ weglassen kann.
Wenn der Anteil derjenigen, die den korrekten Umgang mit Interessenskonflikten im Vorstand anmahnen und die selbst ein geringes Risiko für Interessenskonflikte haben, weiter zurückgeht, werden diese Stimmen im Vorstand zu ignorierbaren Störgeräuschen. Der erhebliche Überhang an US-Amerikanern (in Bezug auf die Anzahl der aktiven Mapper) hat dafür gesorgt und kann weiterhin dafür sorgen, dass der Vorstand zu einem Diener kommerzieller Interessen verkommt.
OpenStreetMap-Kenntnisse
Wer Vorstand ist, hat irgendwann auch über Themen zu entscheiden, die das Mapping direkt betreffen. Dafür ist Erfahrung als Mapper unerlässlich. In den letzten Jahren hatten mit wenigen Ausnahmen die meisten Kandidaten fundierte und langjährige Kenntnisse. Beispiele, wo diese Kenntnisse unerlässlich sind, sind die Organised Editing Guidelines und der von Vorstand gebilligte Revisionsantrag bzgl. der Krim-Resolution der DWG.
Bisheriges Engagement
Das bisherige Engagement in der OSMF und/oder in Local Chapters lässt meiner Erfahrung nach gute Schlüsse zu, ob von der Person viel oder wenig zu erwarten ist. Externen Kandidaten kann man unterstellen, damit nur Karriereziele zu verfolgen, z.B. zwei Jahre als OSMF-Vorstand, um danach in einer Firma mit bezahlten Mappern als „Community-Manager“ zu arbeiten. Dieses Jahr ist das nicht wirklich der Fall.
Für externe Kandidaten wird oft ins Feld geführt, dass diese „neue Ansichten“ in den Vorstand brächten. Das mag zwar sein, aber der Vorstand sollte keine Richtlinien vorgeben. Seine Aufgaben sind Verwaltungsaufgaben. Wer etwas bewegen will, wird nicht Vorstand, sondern engagiert sich in den Arbeitsgruppen. Neue Ansichten und Erfahrungen braucht es daher nicht im Vorstand, sondern dort, wo die Arbeit tatsächlich gemacht wird. Der Vorstand ist ein Ehrenamt.
Was tatsächlich geschehen wird
Als Wähler sollte man einerseits nicht allen Wahlversprechen blind glauben, denn hoch fliegende Träumer sind in der Vergangenheit im OSMF-Vorstand häufig auf dem Boden der Tatsachen gelandet oder brauchten einen langen Atem. Eine teilweise Transparenz der Vorstandsarbeit hat vier Jahre vom Wahlprogramm über eine Wiederwahl und ein weiteres Jahr hinweg gedauert, bis sie Realität wurde. Für Amtszeitbeschränkungen haben sich seit sechs Jahren bislang die meisten Kandidaten in irgendeiner Form ausgesprochen. Passiert ist nichts bzw. entsprechende Vorstöße sind von Unlust erstickt worden.
Jedes Jahr aufs Neue starten Kandidaten als Tiger, um nach der Wahl als Bettvorleger zu landen. Gefühlt die Hälfte der Kandidaten nennt Maßnahmen, um mehr Neulinge anzulocken. In den Vorstandprotokollen findet man dazu kein Wort. Engagement dieser Personen außerhalb des Vorstands in den Themenbereichen ist ebenfalls Fehlanzeige. Diese Teile der Wahlprogramme könnt ihr ignorieren – es handelt sich um die Manuskripte von Sonntagsreden. Wenn danach noch Ziele für die Vorstandsarbeit übrig bleiben, handelt es sich um jemanden, über dessen Wahl man nachdenken kann.
Auch ansonsten sollte man sich beim Lesen der Wahlprogramme vor Augen führen, dass der Vorstand nicht viel macht. Im Laufe der letzten Jahre hat sich – vielleicht glücklicherweise – nicht viel bewegt. Schaut euch mal die To-Do-Listen aus den Vorstandsprotokollen an …
Zwischen den Zeilen
Es lohnt sich, sich nicht nur die Inhalte der Wahlprogramme und Antworten, sondern auch die Wortwahl anzuschauen. Wie schwierig ist das Englisch? Welche Fachbegriffe werden verwendet? Besteht das Wahlprogramm aus Positionen, die man anders formuliert in den Vorjahren schon gesehen hat. Wird auf aktuelle heiße Themen eingegangen? Werden Probleme erwähnt oder nur Gutes gelobt?
Wer in der OSM-Community seltene Begriffe verwendet, ist entweder abgehoben oder nicht wirklich integriert. Diese Kandidaten tun nach der Wahl entweder nichts, weil sie erst dann verstehen, wie OSM funktioniert, oder sie bleiben abgehoben und fallen mit Redebeiträgen in den Sitzungen auf, die meist am Thema vorbeigehen. Ihr Verhältnis zu den Freiwilligen in der OSMF ist gewöhnungsbedürftig.
Tobias Knerr
Tobias steht ausdrücklich für die Beibehaltung des Grundsatzes „support, not control“. Er hat eine kritische Haltung zum kommerziellen Einfluss und ist streng im Umgang mit Interessenskonflikten. Seine Einreichungen fallen damit auf, Probleme zu beschreiben und nicht das schöne Blau am Himmel zu beschreiben. Es gibt nur wenig konkrete Ziele (Geschäftsordnung ändern, Obergrenze für Firmen, ethische Standards für Firmen), die er angehen will. Somit scheint er sich als Verwalter und weniger als Gestalter zu sehen.
Ob seine Ziele auch erreichbar sind oder an mangelnden Mehrheit oder weichgekochten Kompromissen scheitern, wird die Zukunft zeigen. Die Obergrenze wird nicht kommen, es sei denn, man findet dafür eine Zweidrittelmehrheit unter den Mitgliedern, woran ich allein aufgrund der Natur der Regel zweifle. Die Änderung der Geschäftsordnung wird spannend und kontrovers.
Seine klare Haltung lässt jedoch erkennen, auf welcher Seite man ihn finden wird. Er ist ein idealer Kandidat für alle, die Peters Handeln und Hartnäckigkeit gut finden.
Tobias sieht das geplante Förderprogramm kritisch und möchte nur Leute fördern, die schon in OSM aktiv sind und sich somit Vertrauen erarbeitet haben. Er legt wert auf messbare Ergebnisse.
Guillaume Rischard
Vor dem Lesen seines Wahlprogramms und seiner Antworten habe ich Guillaume als Kompromisskandidaten eingeschätzt. Dieser Titel steht aber dieses Jahr Joost zu (siehe unten). Guillaume ist dennoch für jemanden, der eine ähnliche Meinung wie ich hat, eine gute Wahl.
Guillaume hat vor zwei Jahren schon einmal kandidiert. Sein damaliges Wahlprogramm war eines mit vielen heeren Zielen. Auf dieses nimmt er Bezug. Sein diesjähriges hat wenig heere Ziele. Stattdessen prangert er in kurzer und knapper Form einige Fehlentwicklungen der letzten Zeit sowie Mängel an. Er verspricht nicht viel.
In Sachen Code of Conduct begibt sich Guillaume auf Kompromisskurs. Er spricht sich nicht dagegen aus, meint aber, dass das Sache der Community sei. In vielen anderen Themen sind seine Positionen nahe bei Tobias und in Kompromissentfernung zu Joost.
Seine Positionen haben starke Überschneidungen mit denen von Tobias. Beide fordern messbare Ziele für förderwürdige Projekte.
Guillaume kann sich an einem Thema festbeißen und es über längere Zeit verfolgen, wenn er dahinter steht. Die HTTPS-Umstellung ist ein Beispiel dafür. Im Vorfeld dieser Wahl hat er aktiv neue Mitglieder in unterrepräsentierten europäischen Communitys eingeworben, die bislang Minderheiten in der OSMF waren.
Joost Schouppe
Joost ist ein Kompromisskandidat, der für sehr viele wählbar sein dürfte. Letztes Jahr hat er mit wenigen Stimmen Rückstand gegenüber Heather Leson verloren. Vermutlich wird er auch dieses Jahr wieder zahlreiche Stimmen aus dem HOT-Lager bekommen.
Er ist praktisch frei (oder fast frei) von kommerziellen oder organisierten Einflüssen und ein echter Craftmapper. Seine Positionen zum Umgang mit Firmen sind nahe an denen von Tobias und Guillaume. In Sachen Code of Conduct hat er schon letztes Jahr eine Kompromissposition vertreten. Damals schrieb er, dass das Thema zu kontrovers sei und die Community spalten könne.
Sein diesjähriges Wahlprogramm weist keine großen Unterschiede zum letztjährigen auf. Sein Wahlprogramm erwähnt die Verbesserung der Vielfalt und dass er sich darum kümmern möchte. Wirklich konkrete Ideen nennt er nicht. Ich würde diesen Teil als übliches Wahlkampfgerede einstufen und rechne nicht mit relevanten Aktionen.
Er macht für mich einen eher faktenorientierten Eindruck. Wie Tobias und Guillaume spricht er sich für eine bessere Repräsentierung der Mapper-Community unter den OSMF-Mitgliedern aus. Wie die beiden ist er ein waschechter Mapper.
Zum Förderprogramm hat er kritische Anmerkungen, die darauf hindeuten, dass er ein solches Programm realistisch sieht (oder die Arbeit sieht).
Seine intensive Mappingaktivität, seine Aktivität in der OSMF und die Mitgründung des Local Chapters tragen zu seiner Legitimation bei und sprechen ausdrücklich für ihn. Er weiß, wie OSM funktioniert.
Jo Walsh
Jo vertritt im Allgemeinen Positionen, denen ich zustimme. Sie ist gegen eine starke Professionalisierung, ist aber für einen Code of Conduct. Hervorhebenswert finde ich, dass sie die Autonomie der Arbeitsgruppen in der OSMF als fehlenden Punkt im Missions Statement hervorhebt. Ihre Meinungen überschneiden sich sehr mit Joost, Guillaume und Tobias.
Positiv ist, dass sie ein geringes Risiko für Interessenskonflikte hat.
Sie mag zwar wissen, wie eine Organisation intern läuft, aber ihre geringe OSM-Aktivität (nicht nur Änderungssätze) und die sehr knappen Antworten lassen die Vermutung zu, dass sie im Vorstand nichts tun wird. Zwar ist ihre Meinung im Großen und Ganzen für mich akzeptabel, aber das hohe Risiko jemand inaktives zu wählen überwiegt für mich.
Geoffrey Kateregga
Geoffrey hat für mich sehr seltsame (und nicht akzeptable) Ansichten zu OSM. Er sieht sich als Community-Führer. Da er vorschlägt, dass regionale Führer ermutigt werden sollen, als Vorstand zu kandidieren, steht er somit für Hierarchien und eine Professionalisierung. Da er nicht nur Mitglied von HOT US Inc. ist, sondern auch von HOT US Inc. bezahlt wird, hat er erhebliche Befangenheitsprobleme.
Geoffrey war bislang nicht in der OSMF aktiv. Sein Wahlprogramm erwähnt keine Probleme und aktuellen Fragen der OSMF-Politik, sein Schreibstil ist amerikanisch-lobend. Die Inhalte könnten auch von einem amerikanischen Kandidaten aus dem HOT-Umfeld stammen, wenn es einen gäbe. Die Formulierung „I will do […]“ klingt für mich nach etablierten Floskeln.
Ich befürchte, dass er im Vorstand installiert wird, um den Einfluss von HOT US Inc. zu festigen und die Mehrheit zu erlangen. Bislang sind drei von sieben Vorständen Mitglieder von HOT US Inc. Es besteht die ernste Gefahr einer „regulatory capture“, einer Übernahme der Regulierungsbehörde durch den Regulierten. HOT ist nämlich ein Betroffener der Regulierung durch die Organised Editing Guidelines und HOT-Aktivisten haben einen früheren Entwurf als Beinahe-Verbot von HOT bezeichnet.
Organisiertes Mapping ist für Geoffrey ein Ersatz für die Community und könne genutzt werden, um Lücken zu füllen.
Entweder scheint er keine Erfahrung in Sachen Qualitätssicherung, Vandalismusbekämpfung und der Überprüfung fremder Änderungen zu haben oder er hat die Revertier-Frage falsch verstanden. Er spricht nämlich nur von Reverts von Importen und meint, diese sollten wie Importe diskutiert werden. Hat er schlechte Erfahrungen gemacht, weil ein von ihm gern gesehener Import revertiert worden ist? Zwar müssen Importe dokumentiert und vorab diskutiert werden. Wenn aber ein Import mangels Diskussion gegen die Import-Richtlinie verstößt, ist eine Diskussion des Reverts nicht erforderlich, sondern nimmt dem Regelverletzer nur seine Vorteile der Regelverletzung.
Besonders seltsam ist die von ihm vorgeschlagene Verwendung von Fördermitteln. Er will sie für Zwecke einsetzen, die nicht direkt OSM dienen – nämlich für Projekte, die „OSM innovativ nutzen“. Das ist das exakte Gegenteil von Tobias.
Miriam Gonzalez
Miriams Absichten sind für mich unklar. Es hinterlässt bei mir einen bitteren Beigeschmack, dass sie aus der kommerziellen Szene stammt, unkonkret ist und keine Probleme und Fehlentwicklungen benennt. Vielleicht betrachtet sie das aber auch gar nicht als Fehlentwicklungen? Oder sie hat, was keine Überraschung wäre, denselben Schreibstil wie andere stimmberechtigte Mitglieder von HOT US Inc. (sie ist Voting Member), die in den letzten Jahren kandidiert haben.
Ihre Antwort auf die Befangenheits-Frage ist sehr knapp. Man kann daraus schließen, dass ihr das Thema entweder nicht wichtig ist oder sie sich der Bedeutung des Themas nicht bewusst sein könnte.
Man kann Miriam keine fehlende Mappingkenntnis vorwerfen. Zwar hat ihr Haupt-Benutzerkonto nicht sehr viele Änderungen, aber ihr ehemaliges dienstliches Konto bei Telenav dürfte nicht untätig gewesen sein. Dass sie nach Ende des Arbeitsverhältnisses bei OSM ihr Engagement sogar noch vertieft, spricht für sie. Von den Kandidaten, die über Maßnahmen zur Verbesserung der Vielfalt schreiben, ist sie die einzige, bei der das glaubwürdig ist, denn schließlich hat sie sich im Geochicas-Projekt engagiert.
Ihr Antworten sind im Allgemeinen recht knapp, auch die Antworten, die sie nach der Frist eingereicht hat. Diese hatte sie zwar bei den anderen Antworten ergänzt, auf Bitte von Christoph Hormann dann aber in ihren Benutzer-Blog verschoben, um fair zu bleiben.
Sie drückt sich nicht negativ über die Organised Editing Guidelines aus, wirklich loben tut sie sie aber nicht. Man kann es auch so interpretieren, dass sie nicht 100%ig dahinter steht.
Als einzige unter den sieben äußert sie sich – sogar unaufgefordert – zu automatischen Bearbeitungen. Letztes Jahr war das ein großes Thema, dieses Jahr war die Frage im (neu eingeführten) offiziellen Fragenkatalog nicht enthalten. Sie scheint für maschinelles oder von Maschinen unterstütztes Mapping zu sein. Vermutlich sieht sie die unzähligen Freiwilligen auch nicht als Entscheidungsträger, sondern als fleißige Masse.
Wenn Miriam gewählt wird, wird HOT US Inc. eine absolute Mehrheit im OSMF-Vorstand haben.
Nuno Caldeira
Nuno ist der Außenseiter dieser Wahl. Er tritt ohne bisheriges Engagement in der OSMF an. Aus den Antworten auf die Fragen kann man schließen, dass er über die kontroversen Themen in der OSMF nicht wirklich bescheid weiß. Es besteht das Risiko, dass Nuno sich der Mehrheit anschließt und keine wirkliche eigene Meinung hat. Mangels vorherigem Engagement in der OSMF kann man sich fragen, ob er weiß, was wie in der OSMF funktioniert.
Meinung der Kandidaten zu der dubiosen Massenanmeldung neuer Mitglieder
Am 15. November 2018 gab es eine außergewöhnlich hohe Anzahl an Neuanmeldungen über eine einzige IP-Adresse, die der MWG, der zwei Kandidaten angehören, nicht unbemerkt geblieben ist. Die MWG hatte dies dem Vorstand gemeldet, da der Vorstand gemäß der Satzung Mitgliedsanträge binnen sieben Tagen zurückweisen kann. Der Vorstand hat mit vier Nein und drei Ja-Stimmen die Ablehnung der Mitgliedsanträge abgelehnt. Daraufhin haben auf Initiative von Guillaume Rischard fünf Kandidaten die folgende E-Mail gemeinsam an den Vorstand gesendet:
Dear OSMF board,
As candidates for the board, we take a close look at where the voters come from. On 15 November, there was a significant and unusual spike in sign-ups for OSMF membership: 100 new members from one country completed an OSMF membership application within a few hours. The cut-off to register to vote in OSMF elections is 30 whole days before; for that reason, it appears that this was done by a group who wants to vote in the board election on December 15.
Other facts known to us suggest a coordinated sign-up linked to one outsourcing company. While this could just be an employer encouraging their employees to join, a group or individual could actually have contracted an outsourcer to create artificial memberships so that they could influence the election.
The board has been made aware of this, but has not taken action.
In 2011, a different board decided to reject membership from a mass sign-up by a company (https://lists.openstreetmap.org/pipermail/osmf-talk/2011-August/001139.html). The difference in reactions highlights the need for a policy on this. The absence of one could apparently let anyone “buy” the OSMF.
We do not point fingers at anyone, and ask that others refrain from doing so. All of us benefit from fair OSMF elections, whether we are corporations, humanitarian mappers or craft mappers.
As candidates, we are not in the best place to talk about this, but we see no other possible course of action.
Therefore:
- We ask the board to immediately issue a statement.
- We further ask the board, in collaboration with the working groups, to urgently investigate the cause of these sign ups. If those new members registered in time to vote, we ask the board to publish a report long enough before the election. If they did not, the board should clearly communicate this.
- We ask that the community can decide, based on the report and any other information, what should happen then.
- After the election, we will consult and collaborate with the community to introduce rules to prevent electoral fraud to safeguard confidence and make us less vulnerable.
- We ask the community to react by joining the OSMF and getting other mappers to join, increasing our membership numbers. Only a vast and diverse participation of passionate mappers who are engaged in the OSMF’s mission can make us impossible to hijack.
We are, of course, available to discuss this and any further actions.
Nuno Caldeira, Geoffrey Kateregga, Tobias Knerr, Guillaume Rischard, Joost Schouppe
Deutsche Übersetzung:
Werter Vorstand,
als Kandidaten für den Vorstand sehen wir genauer hin, woher unsere Wähler kommen. Am 15. November gab es eine signifikante und unübliche Spitze in den Neuanmeldungen für die OSMF-Mitgliedschaft: 100 neue Mitglieder aus einem Land sind innerhalb weniger Stunden Mitglied geworden. Der Stichtag für Neuanmeldungen, um an den OSMF-Wahlen teilnehmen zu können, ist 30 ganze Tage vorher; es scheint daher so zu sein, dass die Neuanmeldungen von einer Gruppe stammen, die an der Vorstandswahl am 15. Dezember teilnehmen möchte.
Andere uns vorliegende Fakten legen nahe, dass es sich um eine koordinierte Anmeldung einer Outsourcing-Gesellschaft handelt. Auch wenn dies nur ein Arbeitgeber gewesen sein könnte, der seine Angestellten dazu ermutigt, Mitglied zu werden, könnte es auch eine Gruppe oder Einzelperson sein, die gezielt eine Firma zum Ausfüllen von Online-Formularen beauftragt hat, künstliche Mitgliedschaften anzulegen, sodass er/sie die Wahl beeinflussen kann.
Der Vorstand wurde darüber in Kenntnis gesetzt, hat aber nichts unternommen.
Ein anderer Vorstand hat im Jahr 2011 beschlossen, Mitgliedschaften aus einer Massenanmeldung einer Firma abzulehnen (https://lists.openstreetmap.org/pipermail/osmf-talk/2011-August/001139.html). Die Unterschiede in den Reaktionen heben den Bedarf einer Richtlinie hervor. Der Mangel einer solchen könnte es anscheinend irgendjemandem ermöglichen, die OSMF zu „kaufen“.
Wir zeigen nicht mit den Fingern auf irgendjemanden und bitten, es auch nicht zu tun. Wir alle profitieren von fairen OSMF-Wahlen, egal ob es sich um Firmen, humanitäre Mapper oder Craftmapper handelt.
Wir sind als Kandidaten nicht in der besten Position, uns dazu zu äußern, aber wir sehen keine andere mögliche Vorgehensweise.
Daher:
- Wir bitten den Vorstand, umgehend eine Stellungnahme herauszugeben.
- Zudem bitten wir den Vorstand, in Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen die Ursache dieser Anmeldungen schleunigst zu untersuchen. Falls diese neuen Mitglieder sich fristgerecht angemeldet haben, bitten wir den Vorstand, einen Bericht ausreichend früh vor der Wahl zu veröffentlichen. Falls das nicht der Fall sein sollte, sollte der Vorstand das klar und deutlich so kommunizieren.
- Wir bitten darum, dass die Community basierend auf dem Bericht und anderen Informationen darüber entscheiden kann, was passieren sollte.
- Wir werden nach der Wahl uns mit der Community beraten und mit ihr zusammenarbeiten, um Regeln einzuführen, die Wahlbetrug vorbeugen, das Vertrauen stärken und uns weniger anfällig zu machen.
- Wir bitten die Community, als Reaktion auf diesen Fall der OSMF beizutreten und andere Mapper zum Beitritt zu bewegen, um unsere Mitgliederzahl zu erhöhen. Nur eine zahlreiche und vielfältige Teilnahme passionierter Mapper, die in den Auftrag der OSMF engagiert sind, kann eine Übernahme verunmöglichen.
Wir sind natürlich dafür offen, dies und weitere Schritte zu diskutieren.
Nuno Caldeira, Geoffrey Kateregga, Tobias Knerr, Guillaume Rischard, Joost Schouppe
Miriman Gonzalez wollte die Mail nicht unterzeichnen. Jo Walsh stimmt der Mail in Teilen zu und ist gegen Wahlbetrug.
Bei der indischen IP-Adresse handelt es sich um die Adresse einer Firma, die als Subunternehmer für Dritte Digitialisierungsarbeiten (Geometrien nachzeichnen) übernimmt. Die organisierten Mappingaktivitäten von Grab werden anscheinend durch diese Firma durchgeführt. Apples Aktivitäten scheinen von derselben Firma zu stammen. Ehemalige Mapbox-Mitarbeiter arbeiten dort.
Wahlempfehlung
Eine explizite Wahlempfehlung gebe ich dieses Jahr nicht. Meine oben stehenden Äußerung sollten aufschlussreich genug sein.