Spitzengespräch „Digitalisierung von Stadt und Land“ im BMI

Prolog

Seit Juli 2008 fertigt Google für sein Projekt Street View Panoramaaufnahmen des öffentlichen Straßenraums an. Die hierfür durch die Städte fahrenden Autos sind sehr auffällig und die lokale Presse berichtet darüber. Besorgte Bürger wenden sich an die Stadträte und die beschließen, dass der Oberbürgermeister etwas unternehmen muss.

Ein Oberbürgermeister klärt seine Bürger über eine eigens eingerichtete Internetseite auf, übersieht aber, dass auf dieser Seite, als auch auf allen anderen städtischen Seiten wie Tourist-Information, Gesundheit und Bürgerservice incl. Lebenslagen-Beratung das Surfverhalten genauestens mittels Google Analytics protokolliert wird. Zu seiner Ehrenrettung sei erwähnt, dass es sich nach einem kleinen diskreten Hinweis in weniger als 24 Stunden ausgegoogelt hatte.

Nachdem in der Bundesstadt Bonn Google alle Bilder im Kasten und _sightwalk bereits im Netz hat, ergänzen die Politiker die Straßensondernutzungssatzung, so dass nun jede Nutzung der Straße zu dem Zweck, eine umfassende fotografische oder digitale Darstellung des Gemeindegebietes oder eines Zusammenhängenden Teils dieses Gebietes oder einzelner Straßenzüge aufzunehmen oder grafisch oder digital weiter zu verwenden erlaubnis- und gebührenpflichtig ist. Der Stadtkämmerer darf sich über 20 € je angefangenen Straßenkilometer freuen, aber es wurde bis heute noch nach keiner dementsprechenden Erlaubnis nachgefragt und es floss noch kein Cent in das Stadtsäckel. Soweit ein gemeinnütziger oder kein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird, kann die Gebühr ermäßigt oder von der Erhebung abgesehen werden. Muss aber nicht. Und wie sind die Mitwirkenden von OpenStreetMap einzuordnen? Z.B. erlaubt das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL-BW) nicht einmal gegen Bezahlung die Nutzung von amtlichen Geobasisdaten für OSM-Zwecke, da aufgrund der freien Lizenz die daraus gewonnen Daten auch für kommerzielle Zwecke weiterverwendet werden dürfen. OSM wird hier schlimmer als ein kommerzielles Unternehmen eingestuft.

Aber auch offiziell Nutzungsberechtigte haben ihre Probleme mit dem LGL-BW. Für meine Heimatstadt mit knapp 150 km² Fläche ist es wirtschaftlicher, bei einem Privatanbieter eine Befliegung für ein eigenes Luftbild mit alleinigen Nutzungsrechten zu beauftragen, als eine Nutzungslizenz für das sehr aktuelle amtliche Luftbild zu erwerben.

Mein Ansinnen, dieses Luftbild, welches ich mit meinen kommunalen Abgaben mitfinanziere, auch für OSM-Zwecke mitbenutzen zu können, wurde mehrmals abgelehnt mit dem Hinweis, es sei nur für die interne Verwaltungsarbeit vorgesehen und man wolle keinen Präzedenzfall schaffen.  Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass OpenStreetMap-Mitwirkende vom Leiter des städtischen Fachgebiet Geoinformationssysteme als diejenigen eingestuft werden, die bei Google ein paar Punkte in die Karte einzeichnen!

Sommerloch

Mitten in den Sommerferien gibt Google bekannt, dass noch in diesen Jahr  die Fotos der 20 größten Städte des Landes veröffentlicht werden. Ganz Deutschland erinnert sich wieder an das Thema und auch die Regierung erkennt einen Handlungsbedarf. Da Geodaten für die Wirtschaft inzwischen sehr wichtig sind, entschließt man sich jedoch, vor einer gesetzlichen Regelung alle Betroffenen in einem Spitzengespräch zu Wort kommen zu lassen.

In meiner Befürchtung, es könnte bei einer gesetzlichen Regelung der Geodatendienste zu einer ähnlichen unklaren Situation für OpenStreetMap wie in Bonn kommen, habe ich eine E-Mail an Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern, mit meinem Anliegen geschrieben und ihn gebeten, mich zu dem Gespräch einzuladen. Aufgrund der Erfahrungen in meiner Heimatstadt, wo es nicht einmal zu einem erbetenen Gespräch mit dem zuständigen Bürgermeister kam, hatte ich allerdings wenig Hoffnung, Gehör zu finden.

Spitzengespräch

Um so überraschter war ich, als mir nach einiger Zeit der Minister mitteilte, er würde sich über meine Teilnahme an der Veranstaltung freuen. Schnell wurde die Community mittels des Forums informiert und um Meinungen gebeten.

Auch der Minister nutzte vorab das Internet, um von den Bürgerinnen und Bürgern Fragen zum Thema entgegenzunehmen, welche nach ein paar Tagen bewertet werden konnten. Die drei erstplatzierten Fragen beantwortete er einen Tag nach der Veranstaltung in einem Videopodcast.

Am 20. September fand dann das Spitzengespräch statt. Die Teilnehmer waren in alphabetischer Reihenfolge ihres Nachnamens am Tisch platziert. Mein Sitzplatz ist im unteren Bild mit „OSM“ gekennzeichnet.

 

Blick in die Gesprächsrunde

Blick in die Gesprächsrunde - Quelle: Bundesministerium des Innern / Hans-Joachim M. Rickel

 

Der Minister war sehr gut auf das Thema vorbereitet. Nach seiner kurzen Eröffnungsansprache und den Beiträgen der  beiden Ministerinnen benannte er vier bestehende Geodatendienste, die er um eine Vorstellung der Tätigkeit sowie Aussagen zum Thema bat: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG), Deutscher Dachverband für Geoinformation (DDGI) e.V., panogate (_sightwalk) und OpenStreetMap.

Mein Beitrag bestand aus einer kurzen Historie des Projekts, dem Ziel einer freien Weltkarte, was wir erfassen (natürlich auch Hausnummern), Hinweis auf die lizenzkostenfreie Nutzung unserer Daten und den sich daraus ergebenden Nutzen auch für Wissenschaft und Forschung und deren rege Nutzung. Ich habe weltweit 100.000 Beitragende erwähnt, davon die Hälfte in Deutschland, also quasi derzeit die führende Nation.

Dann konnte ich mir aufgrund der Äußerungen des BKG (Nutzung des Geoportals des Bundes durch interessierte Bürger) nicht verkneifen, dass es, im Gegensatz zu Frankreich und den USA, in Deutschland kaum eine Unterstützung durch öffentliche Geodaten für unser Projekt gibt und ich in diesem Bereich das Gefühl einer Kirchturmpolitik und Kleinstaaterei habe. Das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL-BW) verweigert mir eine Nutzung amtlicher Luftbilder für OSM-Zwecke selbst gegen die Bereitschaft, wie ein kommerzielles Unternehmen dafür zu bezahlen.

Danach fragte mich der Minister, ob wir auch die Klingelschilder erfassen würden. Ich verneinte dies, erwähnte aber, dass ich z.B. bei einem Tierarzt auf dem Land mit Leuchtreklame neben der Adresse folgendes vom Praxisschild erfasse: Name, Telefon, Sprechstundenzeiten.

Danach kam die Frage, wie bei OSM mit dem Datenschutz umgegangen wird. Ich bezog mich auf eine der Ethikregeln des Chaos Computer Clubs, in meiner Aufregung allerdings leicht abgeändert:

öffentliches nützen – privates schützen

Von dieser Antwort war der Minister sehr überrascht, denn er wusste bis zu diesem Zeitpunkt wohl nicht, dass auch „Hacker“ sich für den Schutz der Privatsphäre einsetzen.

<ab hier jetzt nur noch das Wichtigste>

Danach wurden vier zukünftige Dienste um ihr Wort gebeten: DLR, Google, Microsoft und Telekom.

Nachdem Dr. Rainer Stentzel vom BMI noch etwas zur Rechtslage gesagt hatte, war die vorgegebene Rednerliste beendet und es konnten sich die anderen Teilnehmer zu Wort melden. Recht schnell wurde eigentlich nur noch von Bildern, Hausfassaden und Verpixelung (auch kompletter Personen) geredet. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit warb für ein zentrales Widerspruchsregister für Geodatendienste, der Bundesinnenminister differenzierte nach Datenerfassern, Datenverknüpfern und Datenveröffentlichern, die Medien sahen die Panoramafreiheit gefährdet.

Dann wurden die Probleme immer verfeinert: Wer hat den höherwertigen Widerspruch: Mieter, Vermieter ?
Was ist bei Wohnungseigentümergemeinschaften, was wenn der Vermieter nicht will, aber der Kneipenbesitzer im Erdgeschoss will, …  der widersprechende Mieter zieht irgendwann aus, …, kann man nach einer Fassadenverschönerung ein neues Bild ohne Baugerüst beantragen?

Sightwalk verwies auf seine Kamerahöhe von nur 1,90, Google begründete seine Kamerahöhe von 2,90 mit der freien Sicht auf Verkehrsschilder, die dann auch automatisiert für ein Kataster ausgewertet werden können. Außerdem läge ein Gutachten vor, wodurch sich bei einer Fahrt nahe der Straßenmitte die „gefühlte Kamerahöhe“ am Straßenrand auf 1,90 verringere !!!!

Jens Best (Aktion verschollene Häuser) zitierte jede Menge Gesetzestexte und sonstige Juristerei zugunsten der Rechtmäßigkeit seines Vorhabens mit inzwischen 500 angemeldeten Fotografen. Er fühlte sich durch eine angebliche Beleidigung seiner Person durch den Bundesdatenschutzbeauftragten geehrt.
Er will seine Bilder in alle Geodatendienste reinstellen und meinte, dass die OSM-API hierfür noch nicht so richtig geeignet wäre!!!

Zu meiner Linken saß der Vorsitzende des Düsseldorfer Kreises, eine informelle Vereinigung der obersten Aufsichtsbehörden, die in Deutschland die Einhaltung des Datenschutzes im nicht-öffentlichen Bereich überwachen. Ich hatte in meinen Unterlagen eine Leistungsbeschreibung und Preisliste des LGL-BW für Hauskoordinaten dabei, was unserem Hausnummernmapping nach dem Karlsruher Schema entspricht, und habe dies ihm gezeigt. Nach einem kurzen Blick meinte er, daß dies nicht unter den Datenschutz fällt. Ich werde mir dies auf jeden Fall nochmal schriftlich bestätigen lassen.

Fazit

Damit besteht eigentlich für uns kein großer Handlungsbedarf, wenn darauf geachtet wird, dass keine „Klingelschild-Mapping-Daten“ oder sonstige persönliche Informationen in den Datenbestand kommen. Für mittels OpenLayers „aufgesetzte“ fragwürdige Dienste oder wenn unser Datenbestand kopiert und erweitert wird, können wir keine Verantwortung übernehmen.

Auch nach der Aussage des Bundesdatenschutzbeauftragten sind „traditionelle Geodatendienste“ von dem ganzen Rummel wohl nicht betroffen.

Ich werde in den nächsten Wochen mit Hilfe der beim Spitzengespräch geknüpften Kontakten abklären, ob die Erweiterung unserer „goldenen Regeln“ (auf der Start-Seite von JOSM)

  • Nicht von anderen Karten kopieren
  • Spaß haben!

um eine Zeile

  • öffentliches nützen – privates schützen

die Eckpunkte des BMI erfüllt, nach deren Grundlage die Branche zum 07.  Dezember 2010 auf dem IT Gipfel der Datenschutz-Kodex der Geodatendienste vorgelegen soll.

Chancen

Bei der Beantwortung der dritten Bürgerfrage

… Warum sind die Karten- und Geodaten des Staates – die eine ähnliche Funktion erfüllen könnten – nicht für alle Bürger als Basis einer freien Öffentlichkeit verfügbar? …

im Videopodcast, begründet der Minister zuerst die Lizenzgebühren der Vermessungsämter für „komplizierte Daten“. Dann folgt (ab 06:00)

… also die allgemeinen Daten sind offen, die speziellen Daten, die für Geschäftsbereiche genutzt werden, die müssen gegebenenfalls kostenmäßig erworben werden, aber sie stehen grundsätzlich für die Bürger zur Verfügung, Open Data nennt man das. Auf dem Weg sind wir, noch nicht so ganz so weit wie andere Staaten, aber da werden wir auch vorangehen …

Ich interpretiere Open Data in der Definition von Wikipedia als eine Philosophie und Praxis, die zur Grundlage hat, dass Daten frei für jedermann verfügbar und frei von Copyrights, Patenten oder anderen Kontrollmechanismen sind.

Ich habe sicherheitshalber im Ministerium nachgefragt und erhielt von einem Pressesprecher am heutigen Samstag folgende Auskunft:

Danke für die Nachfrage. Ich kann das so aber nicht bestätigen. Auch wenn der Minister in diesem Zusammenhang den Begriff „open data“ – der ja keine abschließende Begriffsdefinition bisher gefunden hat – gebraucht hat, ist damit aber nicht open data in dem von Ihnen genannten Sinnen zu verstehen. Die Geodaten des Bundes sind zT verfügbar, zT auch nur kostenpflichtig verfügbar. In diesem Sinne bitte ich Herrn Minister auch zu verstehen.

Im Verlauf der nächsten Woche werde ich versuchen, genauere Auskünfte zu erhalten. Macht euch keine allzu großen Hoffnungen, denn die für OpenStreetMap interessanten Geodaten befinden sich in der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer.

Dank an …

Im Forum wurde mir mehrfach für meine Aktivitäten im Umfeld „Danke“ gessagt. Diesen Dank möchte ich an die weltweite Community weiterreichen: An Steve Coast für die Projektgründung, an alle Mapper, alle Programmierer von Editoren, Plugins, Tools und Datenbanken, an die Ersteller von Raster- und Vektorkarten und an alle, die OpenStreetMap in einer noch nicht genannten Form unterstützen.

Dank auch an Friedrich L. für die Frage und an alle, die sie auf den 3. Platz gewählt haben.

Besonderen Dank an  Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern, für die Möglichkeit, die Interessen von OpenStreetMap beim Spitzengespräch vertreten zu können. Bei der anschließenden Pressekonferenz bezeichnete er sich als „Internetminister“. Auf die erstaunte Nachfrage des Journalisten zählte er alles auf, wofür er zuständig sei. Jetzt hat er einen Posten mehr: OpenGeoData-Minister, wenn auch noch geklärt werden muss, was unter „Open“ zu verstehen ist.

(Joachim ist Mapper seit Mai 2008 und regelmäßiger Teilnehmer am Karlsruher OSM-Stammtisch.)

Dr. Thomas de Maizière


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